Die Sehnsucht nach Ithaka- Heldenreise und Sinnsuche für Unternehmen?

„Not all those who wander are lost[…]“

J.R.R. Tolkien
The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring. „Strider“

… heißt es bei Tolkien… nicht alle die sich verlaufen sind auch verloren“.

Mit vor Aufregung leicht gluckerndem Bauch stehe ich mit einer Gruppe von Männern in der Weite des schwedischen Hochlandes.

Der dumpfe Klang einer Rahmentrommel und der Duft nach Präriesalbeirauch untermalen eine fast pittoreske Szenerie.

Mann für Mann finden wir uns an einer aus Steinen, Ästen und anderen Naturmaterialien gebauten Schwelle ein, die unser Lager von einem Trampelpfad abtrennt, der uns entlang des Sees in die Wildnis führt.

Mann für Mann entschwindet in die Weite des Nordens.

Nun bin ich an der Reihe. Gereinigt vom Rauch und irgendwo zwischen eingelullt und aufgepeitscht durch die Trommelklänge, höre ich die Segenswünsche meiner Mentoren, die mir eine gute Quest wünschen, kaum. Ich befinde mich irgendwo zwischen Angst los zu gehen und den unbändigen Wunsch endlich den ersten Schritt über die Schwelle zu tun.

Als es dann soweit ist, mache ich den ersten Schritt über die Schwelle und gehe, ohne mich umzublicken, in die Weite.

Vier Tage und Nächte werde ich fastend und meditierend an einem einsamen Platz oberhalb des Sees verbringen.

Was mich hierhergebracht hat, ist der Wunsch mein Leben neu zu sortieren.

Nach einer heftigen persönlichen Krise wird es Zeit, mir über einige Dinge Klarheit zu verschaffen und einen Neuanfang zu wagen.

Daher habe ich mich für eine so genannte Visionssuche entschieden.

Die Vision Quest ist eine formale Sinnsuche, die wir aus den Tradition indigener Völker, speziell der nordamerikanischen „First Nation“, übernommen haben.

Die “school of lost borders”, (https://www.schooloflostborders.org/)

mit ihrer Arbeit für die Visionssuche, das getan was Michael Harner mit seiner FSS ( https://www.shamanism.org/) für den modernen Schamanismus getan hat,

nämlich die Visionssuche so weit von ihrem kulturellen Überbau befreit, dass sie auch für uns Westler zu verstehen ist.

Zeitsprung:

Vier Tage später blicke ich in die müden, aber klaren und strahlenden Augen der Männer die zurückgekommen sind. Noch ist nicht die Zeit, um das Erlebte in Worte zu fassen, und so genießen wir die gemeinsame Energie etwas geschafft zu haben, von dem wir am Anfang nicht sicher waren, was es sein wird.

Im Leben eines Menschen gibt es immer wieder Hürden oder Krisen, die einer neue Justierung bedürfen. Solche Übergangsriten, „rites de passage“, sind hilfreiche Werkzeuge, um die innere Kompassnadel neu auszurichten.

Die Mythen und Geschichten der Menschheit sind voll von Männern und Frauen die sich auf den Weg ins Unbekannte gemacht haben, sich in Abenteuer stürzen.

Häufig steht diesem Unterfangen scheinbar eine „äußere“ Aufgabe voran, der Gral muss gesucht, die Jungfrau vor dem Drachen gerettet, der Ring ins Feuer geworfen werden. Nicht selten geht es bei diesen Heldenreisen um nichts Geringeres, als das Retten der Welt…

Ganz nebenbei findet der Held/die Heldin den Sinn „seines“ Lebens und kommt gereift und tief verändert wieder nach Hause.

Die Odyssee, die Heimreise des Odysseus nach Ithaka, ist das Paradebeispiel für solch eine Visionssuche.

Sprichwörtlich ist die Odyssee heute eine Irrfahrt und hat etwas von Verwirrung und Orientierungslosigkeit.

Wir sind so davon eingenommen Dinge zu tun, um Sinn in äußeren Werten zu finden, dass wir auf unsere inneren Werte vergessen; die Begeisterung, die man damit verbindet, sich lebendig zu fühlen, ist, was wirklich zählt.

Joseph Campbell

Homer hat uns mit seiner Odyssee die Blaupause für eine Heldenreise hinterlassen.

Joseph Campbell und andere postulieren sogar ein immer ähnliches Muster in allen Weltmythen.

Den Monomythos, einen Archetypus unter den Geschichten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Heldenreise

In jeder Kultur scheint es Menschen (nicht immer nur Männer, siehe u.a. Mulan!) zu geben, die Aufbrechen um nach dem Sinn des Lebens zu forschen, oder die wie Odysseus vom Schicksal (Fluch der Götter) auf eine solche Reise zu sich selbst katapultiert werden.

Nun gut mag der geneigte Leser denken, aber wo ist der Zusammenhang zu einem Wirtschaftsunternehmen heutzutage?

Wenn wir nun eine Firma als „organisches Wesen“, mit einem eigenen, kollektiven Bewusstsein sehen würden, nicht als bloßen „Ort“ an dem Menschen zum Verrichten ihres Tagewerkes zusammenkommen, wird das Bild bald klarer.

Individuen formen hier eine Kultur, die wiederum die Individuen formt.

„People shape culture and culture shapes people“, wie Jitske Kramer hier passend betont,

Schaut Euch dazu auch gerne Ken Wilber und Co an!

Ganzheitlich handeln: Eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität 

Und so gilt auch für Unternehmen, verstünden wir sie nur als eigenständiges Wesen, etwa wie einen Bienenstock, der sowohl Wohnort vieler einzelner Bienen als auch ein summendes und brummendes „Wesen“ sein kann, die gleiche Sehnsucht nach einem gemeinsamen Sinn, einem Zweck, der Höherem dient und auf den sich unser Handeln ausrichten kann.

 (für die ganz Wilden unter Euch, die Spiritualität der Bienen „der Weg des Bienenschamanen“ von Simon Buxtori

Im Zuge der Bewegung der „new work“, dem Hinwenden zu neuen Inhalten innerhalb der Wirtschaft, und der Ökonomie, machen sich immer mehr Firmen auf, diese Frage auch für sich zu stellen.

Wir finden Kompassnadeln, Leuchtfeuer oder Nordsterne, alles Metaphern für richtungsweisende Hilfen, in dem Versuch, in einem immer stärker „volatiler“ werden Geschäftsfeld, eine Orientierung fürs Unternehmen zu finden.

Simon Sinek und seine Frage nach dem „Why?“ haben eine ganze Welle von Sinnsuche für Unternehmen ausgelöst.

Neben der Formulierung einer „Charta der Zusammenarbeit“ , Grundsätzen des Leaderships, und der wohlfeil formulierten Mission und Vision eines Unternehmens, begeben sich etliche Firmen nun auch noch auf eine „Purpose Quest“ und suchen nach dem, welches Goethe bezeichnen würde als das,

 “ was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Beschäftigt man sich inhaltlich mit der Sinnfrage, so erscheint sie sachlogisch völlig richtig.

Der Mensch als Klanwesen steht seit Jahrtausenden im Zwiespalt zwischen Gruppeninteresse und Individualisierung.

Diese Diskrepanz zeigt sich häufig auch in unserer Arbeitswelt. Je unberechenbarer und unklarer die Märkte sich bewegen und sich Firmenstrukturen und Arbeitsweisen immer schneller anpassen müssen, desto unsicherer fühlt sich der einzelne und desto eher braucht er Leitplanken, also Führung auf ein Ziel zu, auf einen Sinn ausgerichtet.

Leitplanken können aber auch als Begrenzung empfunden werden und in einer Arbeitswelt in der persönlichen Entfaltung und Kreativität immer wichtiger wird, sehen sich HR´ler und Manager vor der schwierigen Aufgabe, um mit dem Bild des Bootes zu sprechen, den Kurs zu halten ohne die Mannschaft zu verlieren.

Der gemeinsame Zweck, fast schon esoterisch formuliert, als etwas Größeres, häufig dem Gemeinwohl ausgerichtetes, ist ein stärkeres Leuchtfeuer als jede Zukunftsvision oder Umsatzplanung. In der Theorie sollten hier Effekte auftreten, die wie bei einer Fußballmannschaft dafür sorgen, dass jeder Spieler auf seiner Position frei agiert und dennoch so mit allen anderen zusammenspielt, dass das Spiel gewonnen wird.

Oft Eingebettet in weitere Change-Prozesse wie Digitalisierung und „agiles“ Arbeiten werden diese „Whys?“ mit großem Brimborium und gefeiert und in werbespruchartige Slogans umgewandelt und zieren plötzlich Firmenwände, Postkarten und die T-Shirts der so genannte „Purpose- Ambassadors“.

Doch betrachten wir kritisch Beispiel-Firmen die sich aufgemacht haben, eine wie ich es gerne nenne, „tiefgreifende spirituelle Veränderung“ im Sinne einer Sinnsuche, einer Purpose Quest anzugehen, so sehen wir eine Vielzahl von Firmen in denen die positive Energie innerhalb des ersten Jahres wieder verpufft und wieder in „alten Fahrwassern gefahren“, soll heißen, mit den alten Methoden weitergearbeitet wird.

Warum ist das so?

Nun zunächst einmal müssen wir festhalten, dass eine Firma obschon in Ihrer Gesamtheit ein organisches Wesen, immer noch aus Einzelmensch besteht. Aus Individuen mit persönlichen Motivationen und persönlichen kulturellen Hintergründen und persönlichen Glaubenssätzen.

 Hier ist wichtig sich zu fragen, ist der gefundenen Sinn, der Purpose kongruent zum persönlichen Sinn, zur persönlichen Auffassung eines sinnhaften Handelns des Einzelnen?

Kann ich als Arbeitnehmer das vorbehaltlos unterschreiben, oder ist es nur ein weiteres Management-Diktat, dass an meinen Gewohnheiten und Überzeugungen abprallt?

Diejenigen Mitarbeiter, welche diesen Sinn vorbehaltlos unterschreiben und diesen Leuchtnordstern für sich als Kompass annehmen können, werden sich, wie im Theorem postuliert, motiviert in die Arbeit stürzen, diejenigen die das nicht berührt, werden sich nicht ändern.

Daher ist für die Wirksamkeit dieser Methode wichtig, dass die Führungsspitze einer Firma vorbehaltlos diesen „Purpose“ unterschreibt und im Sinne einer Vorbildfunktion ihr Denken und Handeln an eben jenem Sinn ausrichtet.

Um spürbar zu werden, muss es eine echte, tiefgreifende Veränderung in der persönlichen Einstellung aller Entscheidungsträger geben.

Bei den mir vor Augen stehenden Beispielen einer positiven Veränderung, einer geschafften „Quest“, sind es immer diejenigen Firmen, wo die Entscheidungsträger aus einer persönlichen Sinnsuche heraus, nicht nur ihr eigenes Leben infrage gestellt und verändert haben, sondern dies auch für ihre Firma wollen. Hier wird Veränderung authentisch und ist für alle leb- und erlebbar.

Hier können dann auch tiefgreifende Konsequenzen ertragen werden, wie zum Beispiel der Verlust von Mitarbeitern, die diesen Sinn nicht mitunterschreiben können, oder wollen.

Denn dies ist der schwierigste Teil einer „Purpose Quest“, das erlebte Abenteuer und die daraus erlernten Fähigkeiten oder neudeutsch „skills“ in den Alltag zu integrieren. Denn der heimgekehrte Held, hier die neu orientierten Entscheidungsträger, darf nicht vergessen, dass die Daheimgeblieben, diesen Wandel nicht mit durchleben konnten. Sie benötigen nun Zeit, das Neue für sich begreiflich zu machen. Ein oft vergessenes Finale der Heldenreise, nämlich das „Heimbringen“ des Schatzes, des goldenen Vlieses und das Übersetzen des Gefundenen aus dem Besonderen ins Profane, in den Alltag.

Denn nur persönlicher Wandel ist auch ein echter Wandel, und so ist die Grundbedingung für so eine tiefgreifende Veränderung innerhalb eines Betriebes, die persönliche Veränderung, die persönliche Sinnfindung, der Entscheidungsträger.

Einschub:

“ nach 14 Tagen der Wildnis und Einsamkeit, nach 4-tägigem Fasten und Meditieren alleine und nach zwei Wochen in einer Gemeinschaft suchender Männer, kehre ich Heim. Fast vorsichtig setze ich die letzten Schritte über unseren Hof auf dem Weg zum Haus. Wie Odysseus frage ich mich, was wird mich erwarten? Ist meine neue Partnerin, die ich alleine ließ noch meine Partnerin? Auf halbem Wege heißt mich ein Plakat willkommen… verletzlich wie ein kleiner Welpe, schließe ich meine Partnerin in die Arme… Ithaka… ich bin zu Hause…wie ich die gefundenen Schätze vom Heiligen ins Profane bringe wird sich zeigen… doch zu Hause bin ich!“

In diesem Sinne frohes „Verirren“ und „Wiederfinden“

„Die Straße gleitet fort und fort,
weg von der Tür, wo sie begann,
weit über Land, von Ort zu Ort,
ich folge ihr, so gut ich kann,
ihr lauf’ ich raschen Fußes nach,
bis sie sich groß und breit verflicht’
mit Weg und Wagnis tausendfach.
Und wohin dann? Ich weiß es nicht.“


Text: J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe (Strophen verteilt); übersetzt von E.-M. von Freymann. Klett-Cotta (Hobbit-Presse)

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