Von Schamanen und Häuptlingen- zwei archaische Archetypen aus der Sicht moderner Führung

Ich sitze in einer Autobahnraststätte in der Mitte Deutschlands, in einem Schnellrestaurant der Kette mit dem goldenen M.

Ein Ort, den ich seit meiner Tätigkeit als Pommes-Schmied lange nicht mehr aufgesucht habe.

Hier warte ich nun auf eines der spannendsten Erlebnisse des Jahres.

Ich bin dabei meinen ersten echten „Indianerhäuptling“ zu treffen.

Inspiriert durch eine Begegnung die ich vor Jahren am Yukon hatte, habe ich nebenberuflich ein kleines Unternehmen gegründet, welches Ökotourismus und indigene Kultur miteinander verbindet.

Ich mache in Europa Werbung für Abenteuerreisen, die von Mitgliedern indigener Kulturen angeboten werden, und ihnen so die Möglichkeit bieten, nicht nur eine eigenständige Ökonomie zu haben, sondern auch einen Teil Ihrer Kultur zu präsentieren und so zu bewahren.

Am Yukon hatte ich Natives kennengelernt, die ein Wildniscamp ins Leben gerufen hatten, um sich und Ihren Stammesmitgliedern aus der Arbeitslosigkeit und weit verbreiteten Drogensucht zu helfen.

Später habe ich einige solcher kleinen, interessanten Unternehmen und Partner gefunden, für die ich in Deutschland Kunden-Akquise machen will.

Was mich heute erwartet ist ein Geschäftsmeeting, mit dem gewählten „ Chief“ der First Nation, einer kleinen Region rund um den Ort Tumbler Ridge in British Columbia, Kanada.

Er ist bei Freunden in Deutschland und auf der Weiterreise haben wir uns hier an der Autobahn verabredet.

In einer Zeit, in der das Internet und die sozialen Medien noch nicht so weit verbreitet sind, und ich noch kein Smartphone besitze, in dem ich mindestens sieben verschiedene Nachrichtendienste bedienen, ist dieses Treffen zwar per E-Mail vorbereitet, aber ich habe keine Ahnung wie mein „Häuptling“ eigentlich aussieht. Denn ein Foto habe ich nicht.

Als ich ihn gefragt habe woran ich ihn erkenne schrieb er nur zurück „ich trage keine Feder im Haar aber du wirst mich schon erkennen“. An meinem Kaffee schlürfend beobachte ich die Tür jedes Mal wenn sie aufgeht und frage ich mich ist er das? Oder der?  Familien strömen herein, Trucker und Geschäftsleute auf Reisen.

Dann geht die Tür auf und ein Mann im klassischen US- amerikanischen Business Outfit mit cremefarbene Hose und Jackett betritt den Laden und sieht sich suchend um. Unsere Augen treffen sich, wir lächeln uns an. Er komm zu meinem Tisch: „Hey ich glaube wir haben eine Verabredung“. Es sieht völlig anders aus als ich mir in meinen Fantasien einen Indianerhäuptling vorgestellt habe. Keine langen Haare, (die hab ich dafür), natürlich keine Federn und auch nicht die klassischen harten edlen Züge wie ich sie in meinen Kindheits-Karl May -Fantasien zusammen geträumt habe.

Ganz im Gegenteil: Mein Indianerhäuptling trägt die Haare kurz und ich erkenne die festen, eng gelockten krausen Haare die ich bei Afro -Amerikanern vermutet hätte und eine Hautfarbe, die mich eher an die Einwohner von Sri Lanka oder Teile von Indien erinnert, aber bestimmt nicht an einen Indianerhäuptling aus Nord- Kanada.

Im weiteren Gespräch in dem wir uns über unsere Geschäftsbeziehung, die Ökonomie von Tumbler Ridge, die First Nation dort und auch über das Wort „Medizinmann“ und was er davon hält (dazu komme ich später noch) unterhalten, erfahre ich einen Teil seiner Geschichte und „so“, sagt er, „ist mein Aussehen eben das Produkt einer langen Geschichte der Durchmischung der Völker, denn was viele Europäer nicht wissen“, sagt er auch, „wir First Nation People haben eine lange Geschichte mit den schwarzen Sklaven und diese Geschichte ist ambivalent“

„In meinem Fall“, so sagt er „führte irgendwann die Liebe die Nationen zusammen und das genetische Erbe meiner Urgroßvater lässt mich so aussehen wie ich aussehe.“

Warum erzähl ich diese Geschichte und was hat sie mit Häuptling und Schamanen- Archetypen in modernem Leadership zu tun? Nun, es geht um Erwartungen und Vorureile, Stereotypen, die wir mit uns herumtragen und die mitbestimmen, wie wir die Welt sehen.

Und um die tatsächliche Rolle, die dieser „Häuptling“ für seinen Tribe (Stamm) einnimmt…

Und darum, wie sich aus einer Mischung aus Wirklichkeit, Geschichte und Mythos, ein Leadership-Rollenmuster extrahieren lässt, dass in der Verbindung mit dem „Schamanen“ eine andere Sicht auf Führungskompetenzen möglich macht.

Doch vorher müssen wir noch über den Schamanen, den Medizinmann sprechen.

„Mein Häuptling“ stand dem Wort „Medizinmann“ kritisch gegenüber…

„Bei uns wissen noch viele „Elder“ (Älteste) mit Medizin umzugehen…Ihr Weißen denkt bei dem Wort Medizin immer zuerst an Heilung von Krankheiten“, fährt er fort, „…aber das ist zu eng gedacht. Natürlich gibt es bei uns auch noch Menschen, die die alten Heilmethoden bewahren. Aber Medizin in unserem Sinne, sollte eher mit Kraft oder Magie oder Energie übersetzt werden. So haben wir Heiler (meist weise Frauen), die die Energien zu lenken wissen, um Krankheiten zu heilen, aber auch noch etwas, was ihr eher als Schamane bezeichnen würdet, der die Zeichen deutet, oder mit dem Jagdwild kommuniziert.“

Das Wort Schamane ist mittlerweile fest in der Mainstream-Esoterik Szene angekommen und beschreibt all jene als Sammelbegriff, die in irgendeiner Form mit der nicht-alltäglichen Wirklichkeit kommunizieren.

Der heilende Aspekt liegt bei vielen dabei klar im Fokus. Wer will heute auch noch einen Jagdzauber in der Norddeutschen Tiefebene.

Doch so bunt wie unscharf ist unser Bild vom „Schamanen“.

Für unser Gleichnis hier, bedienen wir uns einem Archetypus des Schamanen aus, sagen wir mal der Jungsteinzeit.

Es ist die Person (männlich wie weiblich), die für unseren Clan mit den Geistern spricht. Unsere Welt ist beseelt von Geistern (nicht kettenschwingende Gespenster in weißen Laken) sondern Kräften und Seelen. Es gibt den Geist des Flusses in dem wir fischen, die Geister der Bäume und der Tiere und natürlich der Ahnen und vieler Dinge darüber hinaus, die wir nicht verstehen.

Der Schamane ist Bindeglied zu dieser Welt und geistiger Lehrer, Heiler und Priester (auch alles männlich wie weiblich) in Personalunion.

Um zu verstehen, was diese beiden Archetypen mit einem modernen Führungsverständnis zu tun haben, müssen wir zunächst anerkennen, dass wir in unseren neuzeitlichen Arbeitsgruppen, unseren „Teams“, das Erbe des Clanlebens niemals vollständig abgelegt haben.

Jahrzehntausende des Clanlebens hallen in unserem Kollektivbewusstsein nach und formen unser Verhalten.

Und in eben jener Kultur der Clans hat es unter irgendeinem Namen immer zwei zentrale Führungsfiguren gegeben.

Ich nenne sie hier „Häuptling“ und „Schamane“.

Doch wie sehen diese Rollen aus?

Der Häuptling ist weltliches Oberhaupt des Clans

Seine Aufgabe ist es, alle Fäden des alltäglichen Lebens zu halten und zu verweben.

Innerpolitische Entscheidungen, Streit schlichten, Verteilung von Ressourcen oder politische Verhandlungen mit benachbarten Stämmen. Heute würden wir ihn „Manager“ nennen.

Der Schamane hingegen lenkt die nicht-alltägliche Welt, die der „Geister“.

In unserer modernen Denke ist er für den „Teamgeist“ zuständig, für die gute Stimmung, das Einhalten der Meeting-Regeln, ist Mediator und Moderator.

Er „hält den Raum“ in einem Meeting oder Workshop. Wie man im Erfahren schamanischer Rituale lernen kann, einen Raum zu halten, greife ich anderorts noch einmal auf.

Heute versuchen viele Menschen in Führungspositionen beide Rollen parallel einzunehmen und scheitern dabei oft. Bestenfalls erreichen sie ein mittelmäßiges „von beidem etwas“. Aber das wirkt dann nicht authentisch.

Denn klar, wo eine harte Kante gefragt ist, ich unangenehme Entscheidungen verkünden muss, bin ich der, der die Energie der Gruppe stört. Andererseits bin ich als Häuptling auch der, der das Team nach außen abschirmt, der Budgets verhandelt und die Leistung des Teams auch in harten Zeiten nach „oben“ verteidigen muss. Kein Platz für das Harmoniebärchen manchmal…

Wie soll ich da der „Schamane“ sein, wenn ich doch gleichzeitig „Häuptling“ sein muss?

Ich will nicht behaupten, das ginge nie, aber leicht ist es oft nicht.

Besonders dann, wenn ich von meiner Persönlichkeit her, eher das eine, aber nicht das andere bin.

Und so erlebe ich zum Beispiel häufig Top-Manager, die sehr viel Häuptling in sich tragen, stark im „Kampf“ um Märkte sind, aber kein Gespür dafür haben, dass es in ihrem Team gerade brodelt.

Und andersherum gibt es Menschen, denen das Team vertraut und zuhört, die den „Raum halten“ ohne jemals offiziell Führungsverantwortung bekommen.

Gerne auch deswegen, weil wir Führungskompetenz oft fälschlich mit Durchsetzungsvermögen verwechseln.

Aber es gibt viele Arten von Führung und Management ist nur eine davon. Dazu woanders später mehr.

Der Schamane hingegen scheint mir ein noch angehobener Schatz zu sein. Ein Typus den wir nicht sofort vor Augen haben , wenn wir über Führung nachdenken.

Doch was, wenn wir uns der Besonderheiten beider Archetypen bewusst wären?

Wenn der Häuptling den Schamanen neben sich nicht nur akzeptiert, sondern gegebenenfalls sogar gleichberechtigt und absichtsvoll mit einsetzt?

Wohl wissend, dass nicht einer wichtiger als der andere, nur besser in seinem Spezialgebiet ist?

Ich glaube, wir hätten damit Teams, in denen der, der die besten Managemententscheidungen treffen kann, der auch wenn nötig das Team nach Außen verteidigt (Vorstandssitzung zum Beispiel) diesen Job voll konzentriert erledigt.

Jemand, der, wenn diese Kompetenz nicht mehr gefragt ist sich im Hintergrund hält, wenn der „Schamane“ den Teamgeist beschwört, wenn es um Kreativität oder Emotionen geht.

Der Häuptling kann sich ausruhen, wenn er nicht gebraucht wird…

Für viele Menschen in Führungspositionen könnte sich der Arbeitsalltag so deutlich entspannen und viele Teams fühlten sich besser verstanden.

Nur müsste man abgeben lernen und begreifen, dass anders nicht besser bedeutet, aber gleichsam wichtig…

Und das ich nicht weniger „Wert“ bin, wenn ich Kompetenzen, die ich nicht oder weniger habe, einfach abgebe.

Unsere Vorfahren wussten, warum es gut ist, dass jeder das macht, was er am besten kann.

„Leadership by competence“.

Also, liebe „Häuptlinge“, warum schaut ihr beim nächsten mal nicht, ob ihr auch einen Schamanen im Team habt. Nehmt ihn mit in die Verantwortung und bezieht ihn klar mit ein und schaut was das mit eurem Team macht. Viel Spaß beim ausprobieren.

Und vielleicht spricht sie auch zu Euch, die Weisheit von Häuptling und Schamane

Copyright text: Tom Picture Pixabay

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